Schatten über der Kaffeetafel
Performance zumThema "Rheingold" in ArToll auf dem Gelände der Rheinischen Landesklinik Bedburg-Hau, 25.9. 98

Seit 7 Jahren lebe ich wieder in meinem Elternhaus in Otzenrath, welches über 100 Jahre alt ist. Seit ca. 30 Jahren ist das Dorf vom Tagebau bedroht
Inzwischen verschwanden südöstlich von Otzenrath ca 2o Dörfer. So richtig. wahrgenommen wurde die Zerstörung in meinem Dorf erst, als l km weiter das Dorf Garzweiler dem Erdboden gleichgemacht wurde. Fährt man 3 km weiter in die andere - nicht vom Tagebau betroffene Richtung, wird kaum von Otzenrath gesprochen. Die Häuser wurden nach und nach abgerissen und frisch eingesätes Gras wuchs gleich danach in den entstandenen Baulücken. Nur abgesenkte Bordsteine markieren verschwundene Hauseingänge, verwilderte Obst- und Blumengärten. Eine friedliche aber unheimliche Landschaft, besonders, wenn man das Dorf und einzelne Häuser sehr gut gekannt hat. Dahinter ist die Welt zu Ende. Für Geologen ein Mekka, die einzelnen Erdschichten des Riesenloches. Wasserschlösser, Rittergüter mit und ohne Freitreppen, looo jährige Eichen wurden abgeräumt, Flüsse umgeleitet. Wie ein Dorf ganz langsam stirbt kann man derzeit in Inden, der Perle an der Inde beobachten. Dieses ehemals schönste Dorf der Gegend ist mit Brettern zugenagelt.
Oft gehe ich in verlassene Häuser, wo es in den Ställen noch nach Schweinen, Kühen, Hühnern , Kaninchen usw. riecht. Unbedeutende Dinge wurden zurückgelassen, die plötzlich große Bedeutung haben- Schlüssel, die in kein Schloß mehr passen, Badezimmerkacheln, Kleiderhaken etc.
Der Bagger rückt immer näher und ist nicht nur für alte Menschen, für die das Sterben ihres Dorfes mit dem eigenen Sterben identisch ist, eine massive Bedrohung.
Die neuen Dörfer sind wie geleckt- eine einzige Fußgängerzone.. Trotz Bleiverglasung und ;Messinglöwenkopftürgriff soll es Menschen gegeben haben, die bei der ersten Kirmes im neuen Dorf bitterlich geweint haben.
Über allen Festlichkeiten in meinem Haus liegt ein Schatten . Oft habe ich die Vision, daß auf eine wunderbare sonntägliche Kaffeetafel ein schwarzer Staub auf Sahnekuchen und blau- weißes Porzellan herniederfällt dicke fettige Schicht, die nicht mehr zu entfernen ist. Luftverpestung und Angst vor Zerstörung lassen Kaffeetafeln zu Beerdigungsfeiern werden werden. Die Plätzchen, der Stollen... alles wird zur Grabbeilage.....
Ich habe mein Haus zum Hausmusuem Otzenrath erklärt. Ich möchte den Verlust des 800 Jahre Dorfes mit seinen zahlreichen historischen Bauten (Hofanlagen, Kirchen, Privathäusern, Wegekreuzen etc. die Denkmalliste ist lang.......) ständig bewußt machen und demonstrieren, daß es hier noch lebendig zugeht. Es gibt ein Otzenrath Stipendium und eine kleine Werkstatt,. Eine kleine historische Abteilung mit Photos und eine kleine moderne Kunstsammlung, zahlreiche Gebrauchsgegenstände aus dem Haushalt, manche sind genauso alt wie das Haus selbst sowie einen Museumsgarten. Ich bleibe solange, wie es mir möglich ist, um die Zerstörung, die längst energiepolitisch unnötig geworden ist, bewußtzumachen.

Inge Broska

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